Die Guanyin-Halle (观音殿)
 

 Im hintersten Hof des Shaolin-Klosters liegt an der Südostflanke der Tausend-Buddha-Halle (千佛殿) die Guanyin-Halle (观音殿). Sie wurde zur Zeit der Qing-Dynastie gebaut und erstreckt sich über eine Breite von drei „Jian“ (间, 1 jian = Raum zwischen zwei Säulen). Die Halle ist dem „Mahasattva-Bodhisattva Guanyin in weißem Gewand“ (白衣大士观音菩萨) geweiht, weshalb sie auch oft "Halle des weißen Gewandes" (白衣殿) genannt wird. Diesen Namen trägt jedoch heute offiziell eine kleine  Halle des größtenteils zerstörten Zhoufu-Tempels (周府庵), der, in unmittelbarer Nähe des Shaolin-Klosters gelegen, früher dessen alten Mönchen als Refugium diente. 

 
Betritt man die Guanyin-Halle durch das zentrale Eingangstor, steht man direkt dem Schrein der Guanyin-Staue gegenüber, vor dem sich ein großer Altartisch mit den üblichen buddhistischen Opfergaben befindet.  Die Guanyin-Statue ist im Meditationssitz wiedergegeben, in der Rechten ein Wassergefäß haltend und die Linke in einer Mudra erhoben. Sie wird von zwei Gestalten der chinesischen Mythologie flankiert: der  Göttin des Reichtums (财神) und der Tochter des Drachenkönigs (龙女). 
Das Statuen-Ensemble ersetzt seit 2013 drei ursprünglich aus der Baiyi-Halle des Zhoufu-Klosters stammenden Bronzefiguren. 

Bodhisattva Guanyin aus dem Zhoufu-Kloster

Diese wurden 1979 vom Zhoufu-Kloster in das Shaolin-Kloster transferiert, um die im Tempelbrand von 1928 zerstörte Statue der „Guanyin in weißem Gewand“ zu ersetzen, von der nur noch eine Schwarz-Weiß-Fotografie existiert: 


Shaolin Guanyin-Statue, vor 1928


  Das Außergewöhnliche an der Guanyin-Halle des Shaolin-Tempels sind jedoch nicht ihre Statuen, sondern ihre großflächigen Wandmalereien (壁画), die - vermutlich am Anfang des 19. Jahrhunderts - von  anonymen Künstlern aus dem Volk angefertigt wurden. 

Zwei von ihnen zeigen die Shaolin-Mönche bei der Vorführung ihrer Kampfkunst und sind deshalb für Ausübende und Bewunderer des Shaolin-Kungfu besonders interessant. An der Nordwand  ist eine Szene aus der Qing-Zeit dargestellt: der Minister Lin Qing  (麟庆) inspiziert das Shaolin-Kloster und betrachtet die Mönche bei ihrer Vorführung des Shaolin-Faustkampfs. Bemerkenswert an dieser Szene ist auch die Darstellung berühmter Kampfkunst-Experten des Shaolin-Tempels der späten Qingzeit. Deren Namen divergieren in den verschiedenen Quellen, übereinstimmend in allen Quellen ist jedoch der Name Zhanju (湛举) angegeben.

Shaolin Guanyin-Halle  - Nordwand

Das Pendant an der Südwand der Halle zeigt das Training der Shaolin-Mönche unter der Anleitung der ihrer Kungfu-Meister Zhanju (湛举) und Zhanluo (湛洛).  Es sind sowohl der Faustkampf wie auch der Kampf mit verschiedenen Waffen (Stock, Speer, Lanze, Hellebarden u.a.) dargestellt, meist als Partnerübung.


Shaolin Guanyin-Halle Südwand


Vier Wandgemälde an der Ostwand der Halle sind zwei Themen gewidmet, die auf historischen Ereignissen beruhen und legendenhaft ausgeschmückt wurden; bis heute sind sie für den Shaolin-Tempel von herausragender Bedeutung. 
Im nördlichen Abschnitt der langen Ostwand ist in zwei Tableaus das Motiv „13 Stockmönche retten den Tang-König“ (十三棍 僧救唐王) wiedergegeben. 

"13 Stockmönche retten den Tang-König" (rechts)
"13 Stockmönche retten den Tang-König" (links)
 






"13 Shaolin-Mönche retten den Tang-König" - Ausschnitt


Der südliche Abschnitt der Ostwand ist der Yuan-zeitlichen Shaolin-Legende „Jinnaluo  schlägt die Armee der Roten Turbane zurück“ (紧那罗王抗击红巾军) vorbehalten,- auch hier ist das Thema in zwei bildlichen Variationen ausgeführt.
"Jinnaluo rettet den Shaolin-Tempel vor der Armee der Roten Turbane" (linkes Tableau)

"Jinnaluo rettet den Shaolin-Tempel ..." (linkes Tableau) - Ausschnitt



"Jinnaluo rettet den Shaolin-Tempel vor der Armee der Roten Turbane" (rechtes Tableau, Ausschnitt)


 An den Stirnseiten der Halle sind zwischen den die Kampfkunst-Vorführung der Shaolinmönche thematisierenden Wandgemälden und der Wandmalereien der Ostwand jeweils eine Bodhisattva-Darstellung angefügt. Im Norden ist dies der auf einem Löwen reitende Bodhisattva Manjushri, im Süden der Bodhisattva Samantabhadra. Desweiteren befindet sich an den äußeren Seitenwänden des Schreines jeweils das Bildnis eines Arhat: im Norden wird ein Arhat gezeigt, der einen Tiger bezähmt, im Süden ein Drachenbändiger.
Diese Darstellungen religiöser Thematik, insbesondere die Bodhisattva-Bildnisse,  sind von hoher maltechnischer Qualität und  besonderem ästhetischen Reiz,-  leider sind sie in einigen Partien stark beschädigt.

Shaolin Guanyin-Halle - Bodhisattva Manjushri



Shaolin Guanyin-Halle - Bodhisattva Manjushri - Detail
Shaolin Guanyin-Halle - Bodhisattva Manjushri - Detail


Shaolin Guanyin-Halle - Bodhisattva Manjushri - Detail










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Shaolin Guanyin-Halle - Bodhisattva Samantabhadra

Shaolin Guanyin-Halle - Luohan, einen Drachen bändigend

Shaolin Guanyin-Halle - Luohan mit Tiger







 
Shaolin Guanyin-Halle, verziertes Dachgebälk


 Die hier gezeigten Fotografien der originalen Wandgemälde der Guanyin-Halle des Shaolin-Tempels entstanden im Mai 2011 und im April 2014 mit Genehmigung von Meister Shi Yankai. Sie wurden mit einer kleinen Handkamera unter den gegebenen natürlichen Lichtverhältnissen angefertigt.
Der schriftlichen Inhalt dieses Artikels wurden von mir nach bestem Wissen und Gewissen auf seinen Wahrheitsgehalt hin geprüft und erstellt.Quellenangaben sind auf Anfrage hin erhältlich. 

02.02.2014 - Fotos und Text © copyright by yss 
Letzte Änderung: 08.05.2014
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